“Das Leben in dieser Stadt bereichert mich” – Marina Belikova über sich und ihr Künstlerdasein in Berlin

“Das Leben in dieser Stadt bereichert mich” – Marina Belikova über sich und ihr Künstlerdasein in Berlin

Letzte Woche besuchte „Berlinskij“ die Animations- und Medienkünstlerin Marina Belikova in ihrer WG in Berliner Westend. Wir sprachen mit der Künstlerin über ihre Werke, die von ihr verwendete besondere Animationstechnik (darüber kannst du hier nachzulesen: Link.) und ihr Leben in Berlin. Der Weg dorthin war lang und spannend, denn geboren wurde Belikova in Moskau. Sie ist dort aufgewachsen und hat ihr Studium der Web Design und E-Kommerz am Moskauer Institut für Elektronik und Mathematik (MIEM) absolviert. Bevor sie vor 3 Jahren nach Berlin zog, hat sie mehrmals ihren Wohnorte gewechselt. Welche waren es? War es so geplant? Warum wollte sie überhaupt aus Russland auswandern? Die Fragen beantwortet die Künstlerin in unserem Interview.

Marina, wann und warum bist du nach Deutschland gezogen?

Ich kam nach Deutschland im Jahr 2013, um „Media Art and Design“ an der Bauhaus-Universität in Weimar zu studieren.

Zuvor hast du aber in Russland ein Studium schon abgeschlossen.

Genau, sechs Jahre lang hatte ich Web Design und E-Kommerz am Moskauer Institut für Elektronik und Mathematik (MIEM) studiert, danach studierte ich „M.A. Communication Design: Graphic Design“ an der Kingston University in London. Das war nicht so geplant, weil ich eigentlich nach Weimar wollte. In England zu studieren ist außerdem nicht billig. Aber am Ende halfen mir meine Eltern, das Studiumsjahr zu finanzieren. Mein Vater hat als Student in der Sowjetunion ein Stipendium für ein Austauschstudium in England gewonnen. Er sagte mir, es sei so eine tolle Erfahrung gewesen, ich solle unbedingt das auch machen.

Aber wie kam für dich diese unerwartete Erfahrung überhaupt in Frage, wenn du nach Weimar wolltest?

Das ist eine lustige Geschichte. Nach dem Studienabschluss arbeitete ich in Russland im Bereich Game-Design und Craft Design. Allerdings musste ich nach einem Jahr feststellen, dass ich viel lieber etwas künstlerischeres machen will. So bewarb ich mich bei der Bauhaus-Universität in Weimar. Aber da ich wegen der Qualität meines Portfolios unsicher war, schickte ich meine Bewerbungsunterlagen an viele andere Universitäten auf der Welt, unter anderem nach England. Die Zusage von der Kingston University kam ziemlich schnell und ich sollte auch prompt eine Antwort geben. Ich schrieb an die Bauhaus-Universität, aber niemand antwortete mir. Ich dachte, es liegt daran, dass mein Portfolio für so eine tolle Kunsthochschule nicht gut genug war. Die Studiengänge in London und in Weimar bieten ungefähr das gleiche an, also nahm ich die Zusage von der Kingston University ohne große Bedenken an. Zwei Monate später, als ich das englische Studiumsvisum und sogar ein Zimmer im Londoner Studentenwohnheim bekam, erhielt ich auch eine Antwort von der Bauhaus-Universität: „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind angenommen!…” Meine Nachfrage haben sie offenbar ignoriert.

Marina Belikova in ihrem Fotoprojekt "THE LINES"*

Also kamst du nach Deutschland, um Kunst zu machen. Ist das auch der Grund, warum du jetzt in Berlin wohnst?

Interessanterweise war Berlin überhaupt nicht Teil meines Plans. Ich hatte nie vor, herzuziehen. Im Jahr 2014, während des Studiums in Weimar, kam ich zum ersten Mal nach Berlin und absolvierte dort mein Praktikum bei der „Momentum“. Das ist eine Galerie, die sich mit der sogenannten „timebased art“ beschäftigt. Ich dokumentierte die dort statt gefundenen Performances und Ausstellungen, half bei der Gestaltung der Werbung und Ausstellungskatalogen, pflegte die Website. Außerdem produzierte ich ein Video zur Eröffnung der Ausstellung „Balagan“ über die post-sowjetische Kunst, in dem ich einen Blankvers von David Elliott animierte. Nach dem Praktikum bei der „Momentum“ habe ich verstanden, dass ich wirklich nach Berlin zurückkehren will. Allerdings musste ich zuerst noch zwei Semester in Weimar studieren. Aber währenddessen arbeitete ich mit der Galerie weiter zusammen. Seit 2016 wohne ich in Berlin und mag’s hier sehr.

Was hat dir nach Berlin gezogen?

Berlin ist so international! Ich habe mich schon lange daran gewöhnt, mit den Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Ländern zu arbeiten. Meine beiden Studiengänge waren international. Für meine Masterarbeit verwendete ich die Stimme von einer Freundin aus England. Ein deutscher Freund schrieb die Musik und die Freunde aus Kolumbien halfen mir, das Konzept zu entwickeln. Während des Praktikums in der Galerie war ich die einzige, die einigermaßen Deutsch konnte. Darüber hinaus wohnte ich in internationalen Wohnheimen. Mein aktueller Mitbewohner kommt aus Bulgarien. Das ist für mich wie selbstverständlich und ich mag es, dass es in Berlin auch so natürlich ist. Man denkt darüber nicht nach. Mein nächstes Animationsvideo möchte ich über meine Freundin aus dem Iran machen und habe auch eine Idee für ein Projekt mit einer anderen Freundin aus Pakistan.

War es schwer für dich, dich in die Berliner Kunstszene zu integrieren?

Es war überhaupt nicht schwer. Während meines Praktikums bei der „Momentum“ habe ich einige Akteure der Kunstszene Berlins kennengelernt. Viele von den ausgestellten Künstlern waren Freunde der Besitzerin der Galerie. Sie ist toll. Wir haben uns auch gut verstanden und viele Ausstellungen und Kunstveranstaltungen zusammen besucht. Darüber hinaus ist die Mehrheit meiner Bauhaus-Kommilitonen auch nach Berlin gezogen, um Kunst zu machen.

Du wohnst jetzt seit drei Jahren in Berlin. Inwieweit hat dir das Leben dort weitergebracht? 

Ich habe einen Überblick darüber gewonnen, was in der Welt der aktuellen Kunst passiert. In Berlin ist es wahnsinnig interessant zu arbeiten, gerade weil es so International ist. Das Leben in dieser Stadt bereichert mich. Ich mag es sehr, mich mit meinen Freunden zu unterhalten, die auch Kunst machen, aber aus einer anderen Kultur stammen. Beim Austausch kommt man auf Ideen, die einem nie allein in den Sinn kommen würden. Jeder hat seinen eigenen Hintergrund und somit seine eigene Sichtweise. Ich spiele damit gerne in meinen Animationsvideos und wenn ich unterwegs mit meiner Kamera bin.

Glaubst du, die Tatsache, dass du aus Russland kommst, beeinflusst deine Kunst beziehungsweise Themen deiner Arbeiten?

Ich glaube nicht. Ich sehe mich vor allem als Menschen und mich interessieren die anderen Menschen und das, was in ihren Köpfen vorgeht. Zum Beispiel habe ich ein Fotoprojekt über die Leute gemacht, die sich selbst verletzten. Dabei habe ich jedoch nicht die Narben im Fokus gestellt, sondern deren Besitzer. Ich habe mit jedem einzelnen bei den Fotoshootings geredet und das, was mir beim Gespräch besonders aufgefallen ist, als Bildunterschrift verwendet. Um zurück zur Frage zu kommen: Ich glaube aber, meine Herkunft hat einen Einfluß darauf, wie ich Dinge wahrnehme. Es ist lustig.

Hast du ein Beispiel?

Da ich beispielsweise aus Moskau komme, scheint mir alles verhältnismäßig klein zu sein. Nehmen wir Berlin. Meiner Meinung nach ist die Stadt gar nicht so groß. Sie ist wunderbar, kulturreich, international, aber sehr klein. Ich habe mal mit einer guten Freundin und Künstlerin aus Moskau darüber geredet. Ihr geht es genauso und vielleicht den anderen Leuten aus Moskau auch.

Das Gespräch führte

Anna Esprit /ɛsˈpriː/

* Mehr über das Fotoprojekt “THE LINES” sowie weitere Werke von Marina findest du auf der Webseite der Künstlerin.

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