Öl-school-cool: “Berlinskij” zu Gast bei der Animationskünstlerin Marina Belikova

Öl-school-cool: “Berlinskij” zu Gast bei der Animationskünstlerin Marina Belikova

Ein Leuchttisch mit einer darauf gelegten Glasscheibe, darüber eine Kamera, ein Laptop und „Frosch“, das Reinigungsmittel – das ist ihr Arbeitsplatz, den sie für sich direkt in ihrem WG-Zimmer in Berliner Westend eingerichtet hat. Am liebsten arbeitet sie nachts oder in der Dämmerung. Aber nicht weil sie eine Nachteule ist, zumindest nicht nur. Es liegt vor allem daran, dass der Sonnenschein nicht unbedingt als der beste Begleiter bei ihrer Arbeit erscheint. Aber wer ist sie eigentlich?

Sie heißt Marina Belikova. Sie ist Animations- und Medienkünstlerin. Die von ihr verwendete Animationstechnik wird selten von großen Studios benutzt und gilt deswegen als „alternativ“ und „experimentell“. „Oldschool“ wäre auch eine passende Beschreibung für diese Art der Animation. Denn im Grunde ist sie auf einen Bildschirm übertragene Technik der klassischen Malerei: Bilder, die die Künstlerin später mithilfe der Stop-Motion-Software Dragonframe zum Leben erweckt, sind keine digital gezeichneten Bilder, sondern Ölgemälde. Belikova malt sie auf der Glasscheibe und fotografiert diese danach ab. Dementsprechend wird diese Animationstechnik auch „Öl-auf-Glas-Animation“ genannt.

Belikova mag diese Technik, vor allem weil sich Objekte damit frei transformieren lassen: das eine in das andere, und nochmal oder zurück. „Es ist möglich zu zeigen, wie sich alles verändert und ineinander und auseinander fließt. Keine andere Animationstechnik gibt eine solche Freiheit“, so Belikova. Diese Freiheit entsteht dadurch, dass die Ölfarbe langsam trocknet. Man kann währenddessen das Gemalte mehrmals verwischen oder bearbeiten und den Transformationsprozess dokumentieren. Analoges Zeichnen findet Belikova viel interessanter als Digital Painting. „Man kann tolle Sachen digital zeichnen, aber ich persönlich mag lieber Oldschool Techniken, in der Animation sowie in der Fotografie“, so die Künstlerin, „meiner Meinung nach sind sie menschlicher. Außerdem entsteht dadurch eine engere Verbindung zwischen mir als einem Schöpfer und meinem Werk – sowohl eine geistige, als auch eine physische.“ So sind zum Beispiel in ihrem Video zur Eröffnung der Ausstellung „Balagan“ ihre Fingerabdrücke zu sehen. Aber natürlich nicht, weil Belikova ungeschickt ist, sondern weil sie die Abdrücke ihrer Fingerkuppen zu einem der Elemente im Video machte.

Wie entdeckte die Künstlerin für sich die Öl-auf-Glas-Animation? Durch Zufall. Zu Beginn wollte die Künstlerin mit dieser Animationstechnik gar nicht arbeiten. Zum ersten Mal hörte sie davon in einem Kurs während ihres Studiums „Media Art and Design“ an der Bauhaus-Universität Weimar. Dabei erfuhr sie auch über viele andere Methoden und Genres der Animation. Die Öl-auf-Glas-Animation lies Belikova zuerst kalt. Was sie aber vom Fleck weg sehr faszinierte, war documentary animation. Unter diesem Begriff versteht man das Animieren einer realen Geschichte beziehungsweise eine Kombination von einer Dokumentaraufnahme und einer Animation. Bekannte Arbeiten sind zum Beispiel der Kurzfilm „I Met the Walrus“ (2007) von Josh Raskin oder die „Bike“-Trilogie von Thomas Schröder. (Mehr Filmbeispiele findest du hier.)

„Ich mag storytelling animation im Allgemeinen, aber die Idee, eine Geschichte nicht mit fiktiven Charakteren, sondern mit echten Menschen zu animieren, fand ich noch interessanter“, so Belikova. Sie hatte eigentlich vor, ihre Hausarbeit für den Animationskurs in einer anderen Technik zu machen. Aber da mischte sich der Zufall ein: Im Universitätsstudio, wo Marina ihr Video anfertigen sollte, traf sie ihren Kommilitonen aus Kolumbien. Er arbeitete an seinem Film über Pablo Escobar in der Technik der Öl-auf-Glas-Animation. „Seine Arbeit hat mir so gut gefallen, dass ich mir dachte, ich zeichne meinen Film auch mit Ölfarbe!“, so Belikova. Sie bat einen Freund, über seinen ersten Tag in Weimer zu erzählen, und animierte seine Geschichte. Das Video heißt auch so: „My first day in Weimar“ (2014). 2018 wurde er auf dem „Factual Animation Film Festival“ in London gezeigt.

Seitdem arbeitet Belikova in der Technik der Öl-auf-Glas-Animation. Ihr größtes Vorbild bleibt nach wie vor der Animationskünstler Alexander Petrov. Am meisten inspirieren ihr seine Werke wie „Meine Liebe“, „Die Kuh“, „The Dream of a Ridiculous Man“ und natürlich „The Old Man and the Sea“. Für seine Hemingway-Verfilmung gewann der russische Animator 2000 den Oscar in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“. „Er ist ein echter Profi!, so Belikova, „an dem Animationsfilm „Loving Vincent“ hat ein Team von über 120 Malern gearbeitet. Petrov hat dagegen alle 29 Tausend Bilder für seinen Film allein gemalt. Nur sein Sohn hat ihm ein bisschen geholfen.“ Die Liste mit den anderen Inspirationsquellen der Künstlerin und zugleich herausragenden Beispielen der Öl-auf-Glas-Animation sowie die Links dazu wird in den nächsten Tagen im Blogmagazin gepostet.

Auch für ihr Abschlussprojekt an der Bauhaus-Universität Weimar animierte Belikova mit Ölfarbe. Obwohl die Künstlerin am liebsten Geschichten von anderen Menschen in ihren Videos darstellt, erzählt sie in ihrer Masterarbeit über sich. „Dieses Video* war eine Art Endergebnis meines Studiums, in Deutschland sowie in Russland und in England. Denn es war alles wie eine Reise für mich, nicht nur weil ich die Wohnorte wechselte und aus einem Land in das andere zog. Russland, England und Deutschland waren Stationen meiner Lebensreise und das wollte ich in meiner Arbeit ebenso zeigen“, so Belikova. Davon jedoch direkt zu erzählen, hatte sie nicht vor. Sie wollte eine Metapher finden und entschied sich für das Thema Weltraum. „Ich hatte eine Geschichte über drei Planeten erfunden.Viele Leute fragten mich danach, ob ich irgendwie auf die Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry anspiele. Aber ich beziehe mich nicht auf „Der Kleinen Prinzen“. Interessanterweise ist diese Analogie mir bei der Produktion gar nicht aufgefallen.“

Jeden Planeten malte Belikova anders. Denn alle drei haben eine unterschiedliche Dynamik und sogar ungleiche Temperaturen. Sie entsprechen drei Teilen des Videos und drei Kategorien von Menschen im Leben der Künstlerin: die Familie, die Liebhaber und die Freunde. Im ersten Teil geht es hauptsächlich um Marinas russische Großmutter. Als sie gestorben ist, war die Künstlerin nicht in Russland und konnte wegen des Studiums auch nicht zur Beerdigung kommen. Im zweiten Teil handelt es sich um die Liebe. Deswegen ist der zweite Himmelskörper auch der feurigste und heißeste von allen. Und der dritte Planet verkörpert Marinas beste Freundin aus Moskau. „Da die Geschichte sehr persönlich ist, habe ich aber manche Details aus meinem Leben im Video symbolisch dargestellt. Zum Beispiel ist in der Milchstraße das Gesicht meiner Großmutter zu erkennen. Im zweiten Teil habe ich eine Karte gemalt. Das ist ein echter Stadtplan des Ortes, aus dem mein Geliebter kommt. Außerdem haben alle Planeten ihre Zahlnamen, die auch etwas bestimmtes bedeuten“, so Belikova.

Die Kunst, die etwas verschlüsselt und einen Sinn hat, die etwas aussagt – diese Maxime sind für Marina das Essenzielle in der Kunst und diesen versucht sie in ihren Arbeiten zu folgen. „Es gibt sehr wenige zufällige Objekte und Elemente in meinen Videos. Manchmal können sich Elemente von alleine gut zusammensetzen, aber ich fordere mich schon heraus, immer auch eine mögliche Bedeutung zu finden. Das macht ein Werk interessanter und wertvoller,“ sagt die junge Künstlerin.

Momentan kann Belikova allerdings nicht viel Zeit ihrer Animation widmen. Sie arbeitet in Vollzeit bei einem Start-Up und muss noch mindestens ein Jahr dort bleiben, um ein Dauervisum zu bekommen. Deswegen animiert sie ausschließlich nur an Wochenenden. Sie ist aber permanent auf der Suche nach Animationsaufträgen oder einem Job, bei dem sie sich mehr mit ihren Videos beschäftigen kann. Außerdem versucht sie ihre Werke, auf Festivals oder in Ausstellungen zu zeigen. „Das Problem ist, dass die Arbeit in meiner Technik nur selten gut bezahlt wird. Der Prozess ist zeitaufwendig, deswegen kostet sogar ein Video mit einer Länge von 15 Sekunden ziemlich viel. Es funktioniert nicht so einfach wie in der Werbung, zack, zack und fertig! Da ähnelt sich die Animation wirklich der Kunst,“ sagt Marina.

Gerade hat die Künstlerin zwei Ideen für ihre neuen Videos. Sie möchte eine Animation über das „Basant-Festival“, ein Drachenfest in Pakistan, machen. Darüber hinaus hat sie vor, die Geschichte ihrer Freundin aus dem Iran zu erzählen. Sie dreht mit ihrem Freund Filme, unter anderem über Sexualität, Lust und die körperliche Liebe. „Themen wie diese sind in Iran natürlich große Tabus. Meine Freundin hat mir viel von ihrer Kultur und von den Erfahrungen erzählt, die sie in ihrer Heimat und in Deutschland gemacht hat. Diese möchte ich jetzt mit meiner Öl-auf-Glas-Animation gerne darstellen.“

Deine Anna Esprit /ɛsˈpriː/

* Damit Marina das Video auf Festivals exklusiv zeigen kann, ist es mit einem Passwort geschützt. Wenn du aber das Video wirklich schauen möchtest, schreibe eine kurze Mail an Marina. Sie schickt dir das Passwort zu.

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