“Khudozhnik” mit Designhintergrund – Yewgeniya Pestova über ihre Kunst und das “ehrliche Blogging”

“Khudozhnik” mit Designhintergrund – Yewgeniya Pestova über ihre Kunst und das “ehrliche Blogging”

Yewgeniya Pestova ist Mixed Media Künstlerin. Seit drei Jahren lebt sie mit ihrem Mann Ilya und ihrem Basenji-Hund Nila in Berlin. Im ersten Teil unseres Interviews sprachen wir mit der gebürtigen Moskauerin über ihre alte Heimat und die neue Wahlheimat Berlin, über die lokale russische Kunstszene und über die Schwierigkeiten bei der Integration. Nun redet „Berlinskij“ mit Pestova über ihre Malerei, das Künstlerdasein und auch über Instagram. Aber davor: Eine kleine Einleitung zu den Themen.

Yewgeniya Pestova arbeitet mit dem traditionellen Bildmedium, aber bei der Auswahl der Materialien für ihre Gemälde und Kollagen ist sie offen und ergänzt ihr Instrumentarium gerne. Derzeit experimentiert sie vor allem mit Öl- und Acrylfarben, Tusche, Pastellkreiden und Marker aller Art, mischt die Techniken und folgt nicht blind jeder Kunsttendenz, sondern hört auf sich selbst. Auf ihren Bildern treffen sich florale Motive und Obst, abstrakte Elemente und kalligraphisch gemalte Sprüche – „momentan“ muss man unbedingt dazu hinzufügen. Denn die Künstlerin entwickelt sich weiter und ihr Stil verändert sich dabei auch. So wie sie selbst in einem ihrer Posts auf Instagram beschreibt, „Pestova heute und Pestova vor einem Jahr sind zwei komplett unterschiedliche Künstlerinnen“. Daher wäre es seltsam, wenn man keinen Unterschied erkennen würde. „Aber lasst uns zusammen prüfen, ob und wo ich denn weitergekommen bin!“, schreibt sie weiter und analysiert ihre Arbeit aus den letzten Wochen. Pestova geht ihre alten Gedanken nach, denkt an ihre Vorlieben und Vorbilder aus der Kunstwelt: Pablo Picasso, Wassiliy Kandinsky, Gerhard Richter, Konstruktivsten, sowjetische Plakatkunst. Am Ende schämt sie sich nicht zu gestehen, dass sie aus ihren alten Themen hinausgewachsen ist. „Ich habe kein Interesse mehr, immer wieder nur das zu malen, was ich früher gemalt habe.“

So offen und unverblümt teilt Pestova fast im Tagestakt alle Einzelheiten ihrer Künstlerkarriere sowie des Lebens in Berlin mit ihren Abonnenten auf Instagram. Man wird sich allerdings täuschen, wenn man denkt, es sei nur ein weiteres Instagram-Tagebuch einer Immigrantin oder Emigrantin (je nachdem, wer ihre Posts liest) mit künstlerischem Ehrgeiz. Pestovas Posts sind nicht nur extrem ehrlich – selbst für ein Tagebuch –, sondern enthalten auch lebenspraktische Informationen für junge russischsprachige Künstler. Sie erklärt, wie man seine Kunstwerke richtig abfotografiert, wie man die Angst überwindet, seine Kunstwerke zu verkaufen (ja, die gibt’s!), und wie man überhaupt einen fairen Preis für seine Arbeiten ansetzt. Sie beschreibt, wie sie ihre Gemälde Schritt für Schritt in neuen Techniken malt. Die Künstlerin verrät alle Zahlen, redet über das Scheitern und auch unproduktive Phasen. All das nennt sie das „ehrliche Blogging“.

Yewgeniya, wie bist du auf das Konzept des „ehrlichen Bloggens“ gekommen?

Schon als Kind mochte ich keine Lügen. Ich versuche, mich selbst nicht zu belügen und über mich nicht zu lügen. Also bin ich auch auf Instagram offen und schreibe ehrlich über mich, damit die Leute mir nichts zuschreiben können, zum Beispiel irgendwelche Stereotypen über Künstlerinnen, Aus- oder Einwanderin oder Frauen, deren Ehemann IT-Spezialist ist. Ich mag es nicht, wenn die Menschen in Schubladen denken. Deswegen finde ich übrigens so toll, dass diese Denkweise in Berlin fremd ist.

Funktioniert dieses Prinzip der unbegrenzten Ehrlichkeit gut?

Ich versuche immer diesem Prinzip zu folgen, aber leider muss ich zugeben: Das gelingt mir nicht immer. Als ich damals anfing zu bloggen, hatte ich wirklich einen Tick. Ich musste jeden einzelnen Post darauf überprüfen, ob ich so schreibe, wie ich mich im realen Leben ausdrücke, welche Meinung über mich durch meine Texte gebildet wird. Ich habe mir große Sorgen gemacht, dass die Leute mich auf Instagram anders wahrnehmen als außerhalb des Internets. Aber im Prinzip ist es unmöglich, das immer unter Kontrolle zu haben. Es ist egal, wie offen und ehrlich man versucht zu sein, die Leute denken immer etwas anderes oder etwas Eigenes. Außerdem haben sie immer Erwartungen an einen. Wobei dies wahrscheinlich nicht nur die Menschen auf Instagram betrifft.

Wann wird die Interaktion mit den Followern für dich schwer?

Die Leute auf Instagram tendieren dazu zu behaupten, dass, bevor sie einer Person folgten, nichts in ihrem Leben passiert sei, deshalb geben sie Ratschläge. Sie halten es nicht für möglich, dass ich zum Beispiel das eine oder das andere hinter mir habe. Ich verdiene, bereits seitdem ich 17 Jahre alt bin, Geld mit meinem künstlerischen Schaffen. Das sind insgesamt 13 Arbeitsjahre. Sie schreiben mir oft, „du solltest Illustrator werden“. Dabei habe ich anderthalb Jahre lang als Illustrator gearbeitet. Oder „du solltest unterrichten“. Ich habe zwei Jahre lang Privatunterricht gegeben. „Du solltest einen Online-Shop eröffnen und dort Wandbilder und Posters verkaufen.“ Ja, habe ich schon. Eineinhalb Jahre lang habe ich mich mit meinem eigenen Online-Shop in Moskau beschäftigt. Solche Ratschläge zu geben, ungefragt und ohne die Person zu kennen, ist meiner Meinung nach unangebracht. Leider ist es oft typisch für meine Ex-Landsleute.

Wie reagierst du darauf?

Ich versuche schon, darauf immer höflich zu reagieren, mit einer netten Antwort. Denn oft wünschen die neuen Follower einem Gutes und wollen mit ihrem Rat wirklich helfen. Aber ich mag es trotzdem nicht, wenn man mich belehrt.

Warum hast du Instagram als Plattform für das Bloggen ausgewählt?

Was geht ohne Instagram heutzutage? Wenn man von Galerien gesehen werden möchte, wenn man Projekte und Kunstaufträge finden möchte, wenn man Privatunterricht anbieten möchte, – dafür braucht man einen Instagram-Account und zwar einen, den man pflegt und dort aktiv postet. Instagram macht einen für die anderen sichtbar, die Leute nehmen einen als Künstler wahr. Darüber hinaus ist Instagram generell nützlich für einen guten Karrierestart und hilft dabei Netzwerke aufzubauen.

📷 @anna.totskaya

Wie lange bist du schon auf Instagram?

Mein Account ist 7 Jahre alt. Seit ungefähr fünf Jahren poste ich regelmäßig. Damals öffnete ich gerade meinen Online-Shop und wollte ihn bewerben. Seitdem ist Blogging ein Teil meiner Identität geworden. Genauso wie das Künstlerdasein ein Teil von mir ist.

Es fiel mir früher schwer, mich selbst als Künstlerin zu bezeichnen, weil ich Grafikdesign studiert hatte.

Du schreibst in einem Post, dass du dir es endlich erlaubst, dich selbst als Künstlerin zu bezeichnen. Wieso war es dir davor nicht möglich?

Es fiel mir früher schwer, mich selbst als Künstlerin zu bezeichnen, weil ich Grafikdesign studiert hatte. Obwohl ich mich den größten Teil meines Lebens mit dem künstlerischen Schöpfen beschäftige, habe mich immer wieder gefragt, ab welchem Moment ein Mensch „Khudozhnik“, zu Deutsch „Künstler“, wird. Ich kann auf Deutsch sagen „Ich bin Künstlerin“. Ich kann auf Englisch sagen „i am an artist“, aber auf Russisch sage immer noch ungern, dass „Ya Khudozhnik“. Denn ich muss immer damit rechnen, dass jemand möglicherweise mit einer passiv-aggressiven Antwort darauf reagiert. Die Leute schreiben, man sei kein „Khudozhnik“, wenn man keine Porträts oder keine historischen Bilder male. “Blumen zeichnen nur Frauen“, „Blumen malt man nur während des Studiums“, behaupten sie.

Was ist denn das Problem mit dem russischen Wort „Khudozhnik“?

Wenn man auf Russisch sagt, man sei „Khudozhnik“, wird aufdringlich über sein Kunststudium als Nachweis gefragt. Wenige Menschen verstehen, dass man auch ohne Kunststudium ein Künstler sein darf. Und ich darf mich Künstlerin nennen, auch wenn ich Designstudium hinter mir habe.

Es ist doch toll, dass du einen anderen Hintergrund hast. Merkst du, welche Wirkung dein Designstudium auf deine Kunst hat?

Ja. Ich behalte zum Beispiel immer im Hinterkopf, dass ein Bild unter anderem auch ein De­sign­stück ist und meine Gemälde genauso als solche verwendet werden können. Jemand, der ein Kunstwerk kauft, hat immer ein Kaufziel. In meinem Fall ist es eher unwahrscheinlich, dass man ein Bild von Yewgeniya Pestova kaufen möchte. Dafür ist mein Name noch zu unbekannt. Aber Kaufziele können unterschiedlich sein: Mal sucht man nach einem Stück Inspiration von einer anderen jungen Künstlerin, mal ist es ein Wunsch, etwas Schönes für die Wohnung zu finden, mal etwas ganz anderes. Ich finde es absolut nicht problematisch, wenn man meine Bilder nicht für Museen kauft, sondern für seine Wohnung, oder sogar um das Loch an der Wand zu verdecken.

Mir reicht es, wenn ich selbst mit meinen Werken zufrieden bin.

Was ist dir wichtig, wenn du ein neues Bild malst?

Mir ist wichtig, das auszudrücken, was ich ausdrücken will. Ich liebe meine Stilllebenmalerei. Der einzige Grund, warum ich an meiner Malerei manchmal zweifle, ist, wenn ich meine Ideen zum Beispiel über Nachhaltigkeit, Feminismus, Demokratie nicht als Gemälde umsetzen kann. Diese sind dann beispielsweise leichter in Texten auszudrücken. Ich bin noch auf der Suche, wie man solche Inhalte visuell durch die bildende Kunst darstellt. Aber ich weiß, ich bin auf dem richtigen Weg.

Was verfolgt du generell mit deiner Kunst?

Ich möchte mit meiner Malerei Emotionen wecken und Gefühle auslösen. Es wäre schön, wenn die Leute dabei auch verstehen, was ich mit meinen Bildern sagen will, aber das ist schon ein anderes Künstlerniveau, ein „Superlevel“. Auf der anderen Seite denke ich oft, dass es egal ist, was die Leute über meine Kunst denken. Ich kann Ihre Gedanken, Gefühle und Emotionen sowieso nicht kontrollieren. Ich freue mich, wenn eine Verbindung zwischen meinen Bildern und dem Betrachter entsteht, aber ich kann auch damit leben, wenn sie nicht da ist. Mir reicht es, wenn ich selbst mit meinen Werken zufrieden bin. Wenn sie jemand kauft, bin ich zufrieden. Das bedeutet dann auch, dass ich Geld für ein neues Werk habe. Wenn sie nicht verkauft werden, ist es zwar schade, aber ich leide deswegen nicht. Ich male weiter. Ich male, weil ich es so liebe.

Das Gespräch führte

Anna Esprit /ɛsˈpriː/

* Bildquelle aller Fotos: Yewgeniya Pestovas Instagram

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