
31 Okt Vadim Zakharov und Maria Porudominskaja: Das „Programmwechsel“ auf dem neuen Territorium
In den 1980er Jahren war Vadim Zakharov (geb. 1959) einer der Vertreter der sowjetischen Underground-Kunst und wird seitdem zum Kreis der sogenannten Moskauer Konzeptkünstler gezählt. Während der Perestroika wurde er oft zu Gruppenausstellungen in den Westen eingeladen. Er war somit unter den ersten russischen Künstlern, die ausreisen und die Kunstwelt außerhalb der ehemaligen Sowjetunion entdecken durften.
1990 zog Zakharov mit seiner Frau Maria Porudominskaja aus Moskau ins damalige Zentrum der zeitgenössischen Kunst: nach Köln. Einige Jahre später, als sich die Kunstwelt nach Berlin verlagerte, kamen auch Vadim und Maria in die Hauptstadt Deutschlands. „Berlinskij“ besuchte das Ehepaar in ihrer Wohnung in einem gemütlichen Hof in Schöneberg. Im ersten Teil unseres Gesprächs reden wir über Vadims und Marias Weg nach Deutschland und über dessen Hauptstadt: Was zieht russische Künstler – und einst Zakharov selbst – nach Berlin und wieso ist das „russische Berlin“ für die Kunstintegration nicht gut geeignet?
Vadim, in den 1980ern wurden Sie auch in anderen Städten in Europa ausgestellt, unter anderem in Wien und Helsinki. Warum haben Sie sich 1990 für Köln entschieden?
Vadim: Wir kamen nach Köln auf Einladung der Galeristin Sophia Ungers, Tochter des Architekten Oswald Mathias Ungers. Damals war Köln die Kreuzung der Straßen der modernen Kunst. Die besten Galerien waren dort, die besten Messen fanden dort statt. Viele russische Künstler mussten dort früher oder später hin: Sie wurden von den lokalen Galerien zu Ausstellungen eingeladen. Viele Künstler waren mal bei uns zu Hause in Köln.
Womit haben Sie sich in Köln beschäftigt?
Vadim: Als wir hinzogen, setzte ich die Erweiterung meines Archivs fort. Gleichzeitig begannen meine Frau Maria Porudominskaja, die gerade neben mir sitzt, und ich mit der Herausgabe des Magazins „Pastor“. Die erste Ausgabe erschien im Jahr 1992.
Bildergalerie “Das Magazin „Pastor“ (eine Auswahl der Seiten) und das Projekt “The Pastor’s Covers”*, 1994”
Was hat Sie dazu bewegt, ein eigenes Magazin zu veröffentlichen?
Vadim: „Pastor“ war ein Versuch, die russischen Konzeptkünstler in einem neuen Gebiet zu vereinen. Das Magazin spiegelte die damalige Situation, als viele von ihnen zu verschiedenen Ausstellungen in verschiedenen Ländern eingeladen worden waren, wider. Ich wiederum wollte sie auf den Seiten meines Magazins versammeln. Wir trafen Künstler, interviewten sie oder schickten ihnen unsere Fragen zu.
Wer waren die Autoren des „Pastors“?
Vadim: Das waren drei Generationen von Künstlern – darunter die Moskauer Konzeptkünstler, die Künstler-Nonkonformisten der Sechziger (die Untergrund-Künstler der ehemaligen Sowjetunion – Anm.d.Red.) und andere interessante Künstler. Grundlegend für das Konzept des Magazins war vor allem die Zusammensetzung der Artikel jeder Ausgabe. Die Ausgaben unterschieden sich thematisch voneinander. In jedem einzelnen Heft versuchten wir, allerlei kunsthistorische oder philosophische Themen im Kontext des Moskauer Konzeptualismus so umfassend wie möglich zu beleuchten.

Sie haben ein Archiv erwähnt. Was haben Sie archiviert?
Vadim: Ich besitze eine große Sammlung von Kunstwerken der Moskauer Künstler. Bereits am Anfang der 1980er Jahre archivierte und sammelte ich Materialien in Moskau. (Vadim erklärte sich damals zum Archivar des Moskauer Konzeptualismus, was für seine Kunstpraxis entscheidend war: Das Sammeln und das Dokumentieren wurden zu seiner Kunststrategie. – Anm.d.Red.)
Was genau haben Sie in Köln gesammelt?
Vadim: Als die Grenze sich öffnete, habe ich bewusst angefangen, Ausstellungen der russischen Künstler im Westen zu dokumentieren. Ich filmte 228 Ausstellungen russischer Kunst. Darunter sind ungefähr 170 Ausstellungen, an denen ich als Künstler nicht teilgenommen habe (s. „Vadim Zakharov. Postscript After RIP: A Video Archive of Moscow Artists’ Exhibitions (1989-2014)” im Garage Museum der zeitgenössischen Kunst Moskau.). Insgesamt machte ich Fotos von 300 Ausstellungen.
Das ist aber eine Unmenge von Fotos und Videos!
Vadim: Diese Datenmengen vermitteln einen guten Eindruck davon, wie ich die Kultur um mich herum wahrnehme, und zwar nicht nur mit den Augen eines Künstlers [sondern als Archivar]. Diese einzigartigen Materialien haben sowohl als selbstständiges Archiv Bedeutung, als auch als eine Kunststrategie.
Berlin ist meiner Meinung nach das, was Moskau nach den Jahren der Perestroika hätte sein können. Was allerdings nicht passiert ist.
Nach 20 Jahren Leben in Köln zogen Sie 2010 nach Berlin. Warum auf einmal?
Vadim: Heute ist Berlin das Zentrum zeitgenössischer Kunst. Die besten Galerien sind schon in den 1990er Jahren hingezogen. In Berlin gibt es ein sehr mächtiges Kunstsystem – eine große Anzahl internationaler Künstler, mit denen es interessant ist, sich auszutauschen, etwas gemeinsam zu unternehmen und an Projekten zu arbeiten. Die Künstler, die wir kennen, sind sehr verschieden und schaffen ihre Kunst jeder auf seine eigene Art und Weise. Junge Künstler haben es nicht einfach in Berlin.
Maria: Natürlich, haben sie es nicht einfach, aber diese Erfahrung ist wichtig für ihr Wachstum und ihre Entwicklung. Die internationale Kunstszene in Berlin ist außerordentlich vielfältig. Die Stadt ist bekannt für ihr aktives Kulturleben. Sehr viele wollen hierherkommen und versuchen, sich hier auszuprobieren – auch junge russische Künstler. Ab und zu lassen sich die Leute von uns bezüglich der Möglichkeiten und der Arbeit hier beraten.
Warum ist es schwierig in Berlin?
Maria: Die Konkurrenz ist hart, man muss viel arbeiten, sich richtig Mühe geben. Es ist nicht einfach hier zu überleben. Aber die Wege sind offen. Die Künstler aus Russland passen sich entweder an oder lassen es sein.
Vadim: Berlin ist meiner Meinung nach das, was Moskau nach den Jahren der Perestroika hätte sein können. Was allerdings nicht passiert ist.
Arbeiten Sie viel mit russischen Künstlern?
Vadim: In Berlin ist mir die Internationalität der Kunstszene wichtig. Wir haben hier einen vielfältigen Freundeskreis: Amerikaner, Japaner, Franzosen, Italiener, Polen, Bulgaren, Serben und andere Nationalitäten. Im Grunde sind das die Menschen, die hier seit langem wohnen. Diese Internationalität der Kunstwelt ist das, was wir nach der Perestroika entdecken hätten sollen, doch nur wenige russische Künstler haben ihre Prinzipien verstanden. Viele kamen zu Ausstellungen, verkauften ihre Werke und gingen zurück. Manche gingen nach Paris und New York, aber lebten weiter Moskauer Probleme und integrierten sich nicht. Viele kehrten nach Russland zurück.
Warum scheiterten manche russischen Künstler an der Integration?
Vadim: Weil nur wenige versucht haben, ein neues Gebiet außerhalb des russischen Kontexts zu erschaffen. Aber ich verstehe auch, wie schwer es ist, in einem fremden Land zu leben und zu arbeiten. Es ist viel komfortabler, im gewohnten Lebensumfeld zu interagieren und in der Muttersprache zu kommunizieren.
Was meinen Sie genau mit einem neuen Gebiet außerhalb des russischen Kontexts?
Vadim: Damit meine ich die internationale Kunstszene und aktive Kommunikation mit den von den anderen Kontexten geprägten Künstlern. Das bedeutet wiederum die Interaktion mit Ihnen, ein lebendiges Interesse für eine andere Arbeitsweise, den Erfahrungsaustausch und schließlich das Schaffen eines neuen gemeinsamen Kontextes auf einem neuen Territorium.
Warum tun einige sich mit dem Leben auf einem neuen Territorium schwer?
Vadim: Es sind ernsthafte Willensbemühungen und sogar ein vollständiger „Programmwechsel“ erforderlich. Für kreative Menschen ist es eine doppelte Belastung, weil ihr inneres Leben ohnehin schon unglaublich anstrengend und intensiv ist. Jeder hat unterschiedliche Energiereserven und unterschiedliche Integrationsfähigkeiten. Für manche ist es einfacher, auf einem bekannten Territorium zu bleiben. Sie sind nicht in der Lage, das „Programm zu wechseln“. Andere wiederum sind scheinbar erst gar nicht daran interessiert.
In Berlin leben mittlerweile auch viele Russen. Außerdem gibt es Russlanddeutsche, russische Juden, Einwanderer aus der Ex-UdSSR. Die Zahl von „Russischsprachigen“ ist also noch deutlich höher. Unter ihnen viele russische und russischsprachige Künstler. Sehen Sie darin ein Problem?
Vadim: Berlin ist eine Stadt mit einer großen Tradition russischer und russischsprachiger Schriftsteller und Künstler. Das Problem dieses „russischen Klubs“ beziehungsweise dieses „russischen Berlins“ ist, dass es lokal und abgeschlossen ist. Meiner Meinung nach ist der „russische Klub“ ein enormes Hemmnis für die russische Kultur. Die Russen lieben es, sich in „russischen Klubs” zu versammeln. Vielleicht ist das auch für andere Nationalitäten typisch, aber bei den Russen wird dieser Zustand der Isolation zu Klaustrophobie.
Aber die Kultur im russischen Berlin hat doch immer floriert – besonders in den 1920er Jahren.
Vadim: In den 1920er Jahren wohnten in Berlin Vladimir Nabokov, Wladislaw Chodassewitsch, Marina Zwetajewa, Alexei Remisow, Ilja Ehrenburg, Andrei Bely, Boris Pilnjak und viele andere berühmte Literaten. Es wurden eine Menge Zeitungen und Zeitschriften herausgegeben. Ich bin der Meinung, dass die heutige „russische Welt“ in Deutschland nicht so viel wie damals bringt und produziert. Es gibt eine Vielzahl unglaublich konservativer Menschen, die nur russisches Fernsehen gucken und gleichzeitig deutsche Sozialhilfe erhalten. Zum Glück kennen wir aber auch ein anderes russisches Berlin. Die Integration basiert auf dem Wunsch, eine andere Kultur zu verstehen, und der persönlichen Entscheidung, dieser Kultur etwas geben zu wollen.
Maria: Wir haben sehr viele russischsprachige Leute im Freundeskreis, doch wenn wir von einer professionellen Strategie eines Künstlers sprechen, konzentrieren wir uns auf die internationale Szene. Das hindert uns allerdings nicht daran, ab und zu russische Abende und Lesungen zu veranstalten.
Sie wohnen nun seit fast 30 Jahren in Deutschland…
Vadim: Es ist wichtig zu verstehen, dass wir nie vollständig emigriert sind. Wir begannen einfach, in Köln zu wohnen und zu arbeiten. Gleichzeitig arbeiteten und veranstalten wir Ausstellungen in Moskau. Wir haben immer noch russische Pässe.
Wie hat die Einwanderung Ihr Bild des Westens verändert?
Vadim: Die Zeit, die wir hier verlebt haben, hat uns viel gelehrt. Man muss aber verstehen, dass unser Weltbild schon damals in der Sowjetunion, trotz des Eisernen Vorhangs, nicht „geschlossen“ war. Auch wenn es sich dort wie in einem Käfig anfühlte, waren wir gegenüber der Welt da draußen aufgeschlossen. Allerdings war die westliche Welt viel größer und vielfältiger als wir es uns vorstellten, deswegen war die Umstellung ziemlich schmerzhaft.
Das Gespräch führte
Anna Esprit /ɛsˈpriː/
* Mehr über das Projekt “The Pastor’s Covers” (1994) findest du auf Vadim Zakharovs Webseite.
#MeineTop10 russischsprachige Künstler in Berlin – Die Liste der Kuratorin Julia Belousova - Blogmagazin über Kunst, Medien & Berlin
Posted at 10:47h, 13 Februar[…] Das „Programmwechsel“ auf dem neuen Territorium […]