
17 Okt #kunstwärts Auf der Spur der russischen Kunst in Berlin
Seit wann kommen Russen nach Berlin? Tja, die Frage ist wahrscheinlich für diesen Blogantrag viel zu umfangreich. Russen kommen ja seit immer dorthin! Oder zumindest seit laaaaangem, da die Geschichte Russlands mit der Deutschen engstens verflochten ist. So weit zurück in die Vergangenheit wollte ich nicht. Deshalb lass uns schauen, ab wann sich russische Intellektuelle nach Berlin begaben und was danach passierte. Zunächst aber kommen wir zu einer persönlichen und nicht ganz ernst gemeinten Kategorisierung.
Einmal habe ich darüber nachgedacht, welche Städte auf der Welt man als Kunststädte bezeichnen kann, wo man viel Kunst findet und welche genaue Art der Kunst. Ich habe mir scherzweise sogar einige eigene Kategorien überlegt. Das sind die ultimativen „first Class“-Kunststädte, die „Business Class“-Kunststädte, die Kunststädte der glorreichen Vergangenheit und noch eine besondere Kategorie. Du ahnst schon was für eine, nicht wahr?
Die „first Class“-Kunststädte
Die „first Class“-Kunststädte sind Paris, New York und London. Sie waren schon immer die größten politischen und finanziellen Zentren. Ihre künstlerische Reputation und Macht sind historisch geprägt, niemand stellt das infrage oder wundert sich darüber. Möchte man als Künstler durchstarten, soll man in so einer großen Kunststadt leben. Mit dem Leben dort ist es allerdings nicht einfach. Es sei denn, man hat schon einen großen Namen gemacht und/oder seine Werken lassen sich gut verkaufen.

Die „Business Class“-Kunststädte, oder die „Messe“-Städten
Dabei handelt es sich um… Business. Zu dieser Kategorie gehören Städte wie Basel, Dubai, Hong Kong, Köln, Miami und so weiter. In diesen Städten findet eine oder andere Kunstmesse oder große Kunstveranstaltung regelmäßig statt und es wird viel Geld akkumuliert und hauptsächlich gehandelt.

Die Kunststädte der glorreichen Vergangenheit
Die Kunststädte in dieser Kategorie sind einst im Rampenlicht der westlichen Kunstszene gestanden. Heute haben sie ihren Einfluss verloren und müssen weg vom Fenster, in den Hintergrund des dunklen Zimmers des Kunstbetriebs, zurücktreten. Jedoch sind sie in der Vergangenheit so reich und tonangebend gewesen, dass sie auch jetzt angesagt bleiben und viel Kunst anbieten. In manchen Städten finden große Ereignissen der Kunstwelt weiter statt. Zum Beispiel in Venedig. Heute hält sich die Stadt über Wasser nur dank der „Biennale di Venezia“ – oder der Kunstmesse zum Trotz, je nachdem welche Gewässer man meint, die der Kunstwelt und die vom Adriatischen Meer.

Schließlich gibt es die Kunststädte, nein, nicht Städte, sondern eine Stadt: Berlin. Es ist vollkommen einzigartig und dementsprechend einzigartig ist diese Kategorie. So heißt sie auch – „die Kunststadt Berlin“.
Was aus einer kleinen Stadt auf der Spreeinsel zur Hauptstadt zunächst des Kurfürstentums Brandenburg, dann Preußens und irgendwann später des heutigen Deutschlands wurde, zieht immer noch an, wie kein zweiter Ort. Die starke und rätselhafte Anziehungskraft Berlins trotze allen Epochen, Kriegen und selbst wenn die Stadt eine Enklave umgeben vom Sozialismus war. Keine Bombe kann die dort für Intellektuelle und Künstler herrschende freundliche Atmosphäre ruinieren. Keine Mauer kann sie verderben.
„Es gibt keine Spur vom Hauptstadtleben hier“
Wie ein Magnet Eisen anzieht, wirkt auch Berlin schon Jahrzehnte lang als Magnet für Kunstschaffende und Intellektuelle aus allen Ländern – nicht zuletzt auch aus Russland. Das Land hat gefühlt seit immer sehr enge, fast intime, Beziehung zu Deutschland. Und schon seit Jahrhunderten spielte Berlin dabei eine besondere, fast exzeptionelle, Rolle als Zufluchtsort und Ort der intellektuell-künstlerischen Zuwanderung. „Keine andere Stadt war – im Guten wie im Bösen – so sehr verworren mit dem Russischen“, schrieb der Osteuropahistoriker und Schriftsteller Karl Schlögel in seinem Buch „Das russische Berlin“.
Interessanterweise kamen russische Intellektuelle und Kunstschaffende noch vor der ersten Einwanderungswelle am Anfang des 20. Jahrhunderts nach Berlin und zwar schon ein Jahrhundert davor. Vertreter des ganzen politischen Spektrums Russlands hielten sich in der damals noch preußischen Hauptstadt auf. Einer war zum Beispiel der liberale „Westler“ und Schriftsteller Iwan Turgenew, der als der russische Autor des 19. Jahrhunderts im Westen noch vor Tolstoi und Dostojewski bekannt war. Jahre später schrieb er in seinem Brief vom 1. März 1848: „Nach wie vor ist Berlin keine Hauptstadt. Es gibt keine Spur vom Hauptstadtleben hier, obwohl man nach einer Weile doch merkt, dass man sich in einem der Zentren oder in einem der Mittelpunkte der europäischen Bewegung befindet.“ Ich würde behaupten, seine Worte finden bei vielen Menschen und an vielen Stellen auch heute noch Zustimmung.


Was Berlin aber schon damals war und was es auch heute weiterhin bleibt, ist ein Ort, in dem sich die Leute aus Russland wohl fühlen und der sie inspiriert. Ein liebevolles Briefzitat von einem russischen Komponist aus den 1850er Jahren kann es gut illustrieren. (Es hätte auch von mir stammen können, mir geht es ja genauso.) Dieser Komponist heißt Michail Glinka. Er gilt als Begründer des nationalrussischen Opernschaffens und ist der Schöpfer der russischen Nationalhymne. Glinka hielte häufiger in Berlin auf, studierte und arbeitete dort. In einem Brief nach Sankt Petersburg schrieb Glinka einmal: „Mir ist so wohl hier, dass ich es gar nicht ausdrücken kann.“ Er sei in Berlin zu Hause. Kurz nach seinem großen Erfolg in Berlin im Jahr 1857 (der deutsch-jüdische Opernkomponist Giacomo Meyerbeer dirigierte einen Ausschnitt aus Glinkas berühmten Werk „Ein Leben für den Zaren“) erkältete sich der Komponist und starb bedauerlicherweise drei Wochen später in der Stadt, eine deren Straßen jetzt den Namen Glinkastraße trägt.
Die zeitgenössische Kunst in Russland der Jahrhundertwende: Es gibt sie wirklich?!
Am Ende des 19. Jahrhunderts war Deutschland mit seinen Kunstzentren in Berlin und München für Künstler aus der ganzen Europa ein sehr beliebtes Land. Noch vor den russischen Revolutionen im Jahr 1917 arbeiteten russische Künstler mit den Galerien in Berlin zusammen. Die allerste Gruppenausstellung fand 1898 im Kunstsalon Eduard Schulte auf der Straße Unter den Linden statt. Der Bühnenbildner, Maler und Mitglied der Ausstellungsvereinigung „Mir Isskusstwa“ (Welt der Kunst) Léon Bakst inspirierte damals seinen Freund und eine weitere im Westen renommierte russische Persönlichkeit Sergei Djagilew zur Eröffnung dieser Schau. Dort präsentierte er unter anderem die Werke Isaak Lewitans, eines der bedeutendsten russischen Malers des Realismus, und Walentin Serows, eines der Vertreter der russischen Jugendstilmalerei, sowie die Arbeite des Impressionisten Konstantin Korowin. Darüber hinaus wurden in den 1900er die Werke von den russischen Künstlern wie Walentin Serow, Wassily Kandinsky, Leonid Pasternak, Konstantin Somow und vielen anderen in den mehreren Ausstellungen der Künstlergruppe „Berliner Sezession“ gezeigt.
Im Jahr 1906 organisierte oben genannte Sergei Djagilew – der vor allem als Gründer von „Ballets Russes“, einem der bedeutendsten Ballettensemble Europas, bekannt – noch eine Ausstellung der russischen Kunst der 18.-20. Jahrhunderte im Salon von Eduard Schulte. Auf der Schau waren vor allem die Werke der Mitglieder von „Mir Iskusstwa“ zu sehen. Djagilew hatte dieselbe Exposition (in einer kleineren Ausführung) im Pariser Herbstsalon gezeigt. In den beiden Hauptstädten hatte die Schau einen vollen Erfolg. Viele Besucher mussten überraschend gestehen, dass es in Russland die zeitgenössische Kunst wirklich gab. Die Gemälde der russischen Künstler waren „markant, mutig und ausdrucksstark“.*
Der Popularisator der russischen Kunst
Ab den 1910-er Jahren wurde Berlin jedoch mehr als nur ein der beliebten Zuwanderungsorte der russischen Kunstprominenz des Silbernen Zeitalters. Die Metropole entwickelte sich zum Zentrum der deutschen avantgardistischen Kunst des früheren 20. Jahrhunderts, sprich die Kunstbewegungen wie Expressionismus, Futurismus, Dadaismus und Neue Sachlichkeit. Diese Vorkriegsavantgarde war weniger landesbezogen, sondern europäisch, und „die Russen gehörten zur Familie“**.

Einer, der das schon früher erkannte, und einer, der ein großer Akteur in der Berliner Kunstszene der Zehnerjahre war, war Herwarth Walden. Der progressive deutsche Verleger und Herausgeber der Kunstzeitschrift „Der Sturm“ eröffnete 1912 in der Potsdamer Straße eine gleichnamige Galerie und zeigte unter anderem die Arbeite der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ und der Vertreter des italienischen Futurismus. Walden hatte außerdem ein gutes Gespür für die russische Kunst. Im Jahr 1913 fand unter seiner Leitung der Erste Deutsche Herbstsalon statt. Unter 336 Ausstellungsstücken der internationalen Avantgarde aus verschiedenen Ländern präsentierte Walden auch die Werke von russischen Künstlern wie etwa Wassily Kandinsky, Marc Chagall, Alexej Jawlensky, Michail Larionow, Alexander Archipenko und Bruder Burljuk. Später fanden Einzelausstellungen derselben Künstlern sowie der russischen Avantgardistinnen Natalija Gontscharowa und Marianne von Werefkin ebenfalls in der Sturm-Galerie statt. Der Förderer der deutschen Avantgarde und Erfinder des Terminus „Expressionismus“, erwies sich Walden als großer Popularisator der russischen Kunst im europäischen Kunstraum.
Seinen Höhepunkt erreichte das russische Kunstleben in Berlin allerdings erst nach der russischen Revolution des Jahres 1917. In den Zwanzigern galt die Metropole als „dritte Hauptstadt Russlands“. Was musste da wohl passieren sein, um so einen Ruf zu bekommen? Welche wichtigen Akteure und Veranstaltungen es damals gab, was für ein Kulturphänomen sich da beobachten liess und welche Bedeutung dies für die gesamte russische Kultur hatte, findest du im nächsten Post heraus.
Deine Anna Esprit /ɛsˈpriː/
* Aus: Попов А. Н., Русский Берлин, Вече, 2010.
** Aus: Mierau F. (Hrgb), Russen in Berlin 1918-1933. Eine kulturelle Begegnung, Quadriga Verlag, 1970.
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